Zu den regelmäßigen Wartungsarbeiten gehört die Kontrolle der Belagstärke der Bremsbeläge. Was aber, wenn die Belagstärke noch in Ordnung ist, die Bremswirkung trotzdem immer mehr nachlässt?
Nicht nur die Stärke des Belags sondern auch wie er noch bremst spielt eine wichtige Rolle. Bei meiner XJ 600 S war die Bremswirkung am Hinterrad bislang nie sonderlich prickelnd. Nach dem Wechsel auf Stahlflexbremsleitungen um die mutmaßlich 17 Jahre alten Bremsleitungen zu ersetzen stellte sich auch keine Verbesserung ein. Schlimmer noch: Die Bremswirkung hat auf den letzten 1'000 Kilometern weiter abgenommen.
Wenn Anfahren am Berg wegen einer schlechten Bremse am Hinterrad immer schwieriger wird ist es höchste Zeit die Beläge zu wechseln. Im Vergleich zur regelmäßigen Kontrolle der Bremsklötze ist der Wechsel aufwendiger und komplizierter als die Kontrolle der Belagstärke. Daher habe ich den Wechsel der Beläge am Hinterrad meiner XJ 600 S mit der Digitalkamera begleitet und eine kleine Anleitung geschrieben.
Die bisherigen Bremsbeläge werden durch welche von EBC[1] ausgewechselt. EBC hat mehrere Produktlinien für Straßenmaschinen im Sortiment. Die günstigere Variante mit organischen Belägen nennt sich »Blackstuff«, die Lösung mit Sintermetallbelägen »Goldstuff« und wer es noch ein wenig »giftiger« haben will kann zu »Extreme Pro« greifen. Alle drei Varianten sind eintragungsfrei und besitzen eine KBA-Nummer.
Aufgrund von vielen Empfehlungen und dem relativ geringen Preisunterschied von etwa 5 Euro habe ich mich für »Goldstuff« von EBC für meine XJ 600 S entschieden. Für die vordere Bremse habe ich auch gleich einen Satz mitbestellt. Kostenpunkt pro Satz mit zwei Belägen: Rund 25 Euro.
Weiteres Zubehör für den Wechsel sind – abgesehen vom Werkzeug – Bremsenreiniger[2] und Kupferpaste[3]. Im Bremssattel sammeln sich im Laufe der Zeit diverse Schmutzpartikel an, welche mit Bremsenreiniger entfernt werden können. Keinesfalls ein auf Öl basierendes Reinigungsmittel verwenden. Wenn Öl auf die Beläge gelangt, ist es schnell vorbei mit der Bremswirkung.
Für den Einbau wird weiterhin Kupferpaste benötigt. Diese dient als Schmierstoff damit die Beläge nicht festsitzen und nebenbei wird auch das von manchen schlecht gewarteten Maschinen bekannte Quietschen gemindert.
Die Kosten für Bremsenreiniger und Kupferpaste sind sehr überschaubar. Eine 500 ml fassende Dose Bremsenreiniger kostet etwa 2 Euro, die Tube Kupferpaste 5 Euro.
Allerdings genügt die Tube mit der Kupferpaste sicherlich etliche Jahre, da nur sehr wenig benötigt wird. Sollte das Motorrad mit ABS ausgerüstet sein, soll man statt Kupferpaste einen aus synthetischen und keramischen Wirkstoffen bestehenden Schmierstoff verwenden. Kupferpaste kann den ABS-Sensor beeinträchtigen und somit zu Funktionsstörungen führen.
Im Falle der XJ 600 S kann Kupferpaste verwendet werden, da sie über kein ABS verfügt. Wobei die keramisch-synthetische Variante preislich kaum einen Unterschied macht, habe ich zur altbewährten Kupferpaste gegriffen.
Bevor es mit Vorgehensweise bei der XJ 600 S/N in Text und Bild weitergeht noch ein paar Hinweise. Leider schrauben viele an ihren Bremsen herum und sparen dabei am Material. Dabei ist die Bremse jenes Bauteil, welches eventuell einen schweren Unfall verhindern kann. Daher bitte die folgenden Punkte beachten:
Bei der guten alten XJ 600 S/N ist noch einfachste Technik verbaut. Die ersten Baujahre bis 1996 hatten vorne nur eine Bremsscheibe, Wärmeschutzbleche beziehungsweise -einlagen sucht man ebenso vergebens.
Der Wechsel der Bremsbeläge am Hinterrad gestaltet sich entsprechend einfach und problemlos und kann mit gutem Werkzeug theoretisch selbst durchgeführt werden. Das benötigte Werkzeug wurde bereits oben am Seitenanfang aufgeführt.
Gemäß der Wartunganleitung im Haynes[4] soll auch die Schraube auf dem rechten Bild (Achtung: Den Splint auf der Rückseite im Spiegel nicht übersehen) entfernt werden. Der Ausbau des Bremssattels kann aber auch ohne Entfernen dieser Schraube vorgenommen werden.
Der Bremssattel ist lediglich mit zwei Schrauben befestigt. Diese sind auf dem Bild oben links zu erkennen da sie bereits gelöst wurden.
Bevor sie vollständig entfernt werden, müssen noch die beiden Halteschrauben der Bremsbeläge gelöst werden. Dabei handelt es sich um die beiden Schrauben, welche den 5er Inbussschlüssel notwendig machen.
Bei meiner XJ 600 S konnte ich den Inbusschlüssel nicht vernünftig ansetzen. Erst nachdem der Gammel mit ein wenig Rostlöser behandelt wurde, passte der Inbusschlüssel wieder in den Kopf der Schraube. Daher nicht den auf dem Bild rechts unten vom Blitz schön beleuchteten Rost für aufgebrachte Kupferpaste halten.
Nachdem die beiden Schrauben entfernt wurden, können die Bremsbeläge einfach herausgenommen werden. Zusammen mit den Belägen wird sicherlich auch die kleine Feder herausfallen, welche auf dem Bild unten rechts zusammen mit den alten Belägen zu sehen ist.
Der Bremssattel wird nun mit Bremsenreiniger und einem fusselfreien Lappen gereinigt. Man soll ihn nicht mit Druckluft ausblasen, da man dabei nur unnötig den Abrieb der Bremsbeläge in die Luft bläst oder im ungünstigsten Fall zwischen Bremskolben und Bremssattel hineinbläst.
In vielen Anleitungen ist zu lesen, dass man die Bremskolben einfach mit zwei Fingern oder zwei Händen zurückdrücken kann. Meine Erfahrung vom PKW hat sich bei meiner XJ 600 S bestätigt: Ohne Bremsenrücksteller oder stattdessen einer Schraubzwinge geht nicht wirklich viel.
Im Haynes wird das Hebeln mit einem Schraubenzieher zwischen den alten Bremsbelägen empfohlen. Die Variante wird auch von vielen so übernommen, der gleichmäßige Druck einer kleinen Schraubzwinge ist mir dann doch irgendwie sympathischer.
Die um den Bremskolben anliegende Dichtung ist übrigens ein Verschleißteil. Spätestens beim nächsten Wechsel der Bremsbeläge wird der Bremssattel komplett zerlegt. Nach dem Entfernen der Kolben können die Dichtungen eines sogenanntes »Bremssattel Reparatur Kits« eingesetzt werden. Oder aber im Kit ist auch gleich ein neuer Bremskolben enthalten. Dann wird auch dieser natürlich ersetzt.
Ein Set mit Dichtungen und Staubschutzkappen für eine Bremse mit zwei Kolben kostet etwa 20 Euro. Ein Set mit zwei neuen Kolben kostet zwischen 60 und 100 Euro – je nach Händler und Hersteller.
Von der Überholung eines Bremssattels zurück zum Tausch der Bremsbeläge. Wie eingangs schon geschrieben dient die Kupferpaste als Schmiermittel. Die Auflageflächen der Bremsbeläge sowie im Bremssattel werden lediglich dünn mit Kupferpaste bestrichen. Mit dem Finger geht dies am einfachsten.
Nachdem die Bremsbeläge wieder eingesetzt wurden – dabei die kleine Feder nicht vergessen – werden sie mit den beiden Schrauben wieder fest im Sattel montiert. Es macht Sinn vor dem Anziehen der Schrauben zu überprüfen ob die Kolben weit genug zurückgedrückt sind oder ob noch das eine oder andere µ fehlt und die Beläge noch nicht rechts und links an der Scheibe vorbeipassen.
Wenn der Sattel mit den neuen Bremsbelägen über die Scheibe geschoben werden konnte, können alle Schrauben mit dem vorgegebenen Drehmoment angezogen werden.
Nun noch ein Blick auf die alten Bremsbeläge und ein Hinweis über die Verwendung von einer Schraubzwinge als Bremskolbenzurücksteller.
Zwei Dinge fallen auf: Erst einmal fehlt offensichtlich jegliches Schmiermittel. Beim letzten Wechsel der Bremsbeläge wurde offensichtlich auf Kupferpaste oder das modernere Substitut verzichtet. Aber dies ist auch ganz praktisch, denn was man ebenfalls gut erkennen kann: Wo sich der Kolben auf der Rückseite des Belags in den Lack gepresst hat.
Bei der Liste für das Werkzeug ist auch eine große Unterlegscheibe mit aufgeführt. Diese Unterlegscheibe war bei mir geringfügig größer als die Auflagefläche der Bremskolben. Mit einer mittig positionierten Schraubzwinge lässt sich so ohne die Gefahr zu verkanten der Kolben einfach in den Sattel zurückdrücken.
Damit auch einmal der Bremssattel der Hinterachse ohne Bremsleitung und Hinterrad im Hintergrund zu sehen ist, noch zwei Aufnahmen von einem defekten Bremssattel einer XJ 600 S/N. Die Materialstärke der Bremsbeläge ist so viel deutlicher zu erkennen als wenn man mit einem Spiegel am Hinterrad hantiert.
Was dem Bremssattel fehlt: Ein Ventil zum Entlüften ist abgebrochen. Ich hatte ihn eigentlich gekauft um ihn bei Gelegenheit zerlegen zu können um dabei das Überholen eines Bremssattels dokumentieren zu können, so ist er allerdings nutzlos und ging für einen Euro weiter an einen anderen Schrauber.
Abschließend, nur falls sich jemand wegen der EBC-Bremsbeläge und einer Suchmaschine auf diese Seite verirrt hat: Die Bezeichnung der Bremsbeläge für die XJ 600 S/N bis 1996 (mit nur einer Bremsscheibe am Vorderrad) in tabellarischer Form:
Beschreibung | Bezeichnung* | Preis |
Bremsbelag Vorderrad – EBC »Blackstuff« (bei nur einer Bremsscheibe vorne) |
FA179Anzeige | ca. 20 Euro |
Bremsbelag Vorderrad – EBC »Blackstuff« (bei zwei Bremsscheiben vorne) |
FA199Anzeige |
ca. 40 Euro (für 2 Sätze) |
Bremsbelag Hinterrad – EBC »Blackstuff« | FA104Anzeige | ca. 20 Euro |
Bremsbelag Vorderrad – EBC »Goldstuff« (bei nur einer Bremsscheibe vorne) |
FA179HHAnzeige | ca. 25 Euro |
Bremsbelag Vorderrad – EBC »Goldstuff« (bei zwei Bremsscheiben vorne) |
FA199HHAnzeige |
ca. 50 Euro (für 2 Sätze) |
Bremsbelag Hinterrad – EBC »Goldstuff« | FA104HHAnzeige | ca. 25 Euro |
*) Links führen zum Produkt bei Amazon |
Bleibt nun nur noch die Frage ob nun »organische Beläge« oder doch lieber welche mit »Sintermetall« gekauft werden sollen?
Sintermetall wird nachgesagt, dass der Verschleiß an der Bremsscheibe höher ist. Bei organischen Belägen wird bemängelt, dass sie insbesondere bei häufigem Bremsen – zum Beispiel bei Passabfahrten – zum Fading neigen würden.
Was im Einzelfall für die Maschine und den Fahrer die beste Wahl ist, muss individuell abgewogen werden. Bei Motorrädern werden im Gegensatz zum PKW fast ausschließlich hochwertige Bremsscheiben aus rostfreiem Stahl verwendet. Mit diesen können Sintermetallbeläge genutzt werden. Eine Scheibe aus Grauguss wie sie im PKW gerne verwendet wird, wäre mit den Sintermetallbelägen sehr starkem Verschleiß ausgesetzt.
Ein klarer Vorteil von den Belägen mit Sintermetall: Sie können im Gegensatz zu den Belägen mit organischem Material nicht »verglasen«. Da ich die Hinterradbremse bewusst nutze und nicht nur per Bremse am Vorderrad die Maschine abbremse war für mich daher die Wahl vom EBC »Goldstuff« Bremsbelag mit Sintermetall die erste Wahl.
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Datum: | 30.05.2012 |
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Kommentare
schrieb am 18.07.17 um 19:55 Uhr:
Danke, sehr hilfreich!
schrieb am 10.05.18 um 15:17 Uhr:
Eine SUPER Beschreibung/Anleitung!! Kompliment!
Gerne mehr davon!
schrieb am 11.05.18 um 08:34 Uhr:
Meine XJ 600 S ist inzwischen verkauft. Für die XJ kann ich daher selbst keine weiteren Anleitungen schreiben. Dafür geht es inzwischen mit Anleitungen für die BMW R 1150 GS weiter. Wobei die aufgrund ihrer Verbreitung schon mit reichlich Anleitungen im Web bedacht ist.