Mittwoch früh, es ist kurz nach 8 Uhr. Ich wache im Bett in der Jugendherberge auf und fühle mich trotz der gestern Abend stattgefundenen heimtückischen und nicht sonderlich rücksichtsvollen Attacke mit Licht und Schnarchen der Radfahrer recht ausgeruht. Mein Plan: Möglichst schnell aufstehen und rauf auf die Sitzbank meiner XJ 600 S. Nicht nur um den noch schnarchenden Radfahrern zu entkommen sondern auch damit ich noch etwas vom Reschensee habe bevor die anderen Touristen – außer mir – einfallen.
Den so ziemlich ersten Anblick nach dem Aufwachen habe ich auch noch mit der Digitalkamera festgehalten. Da hebt man den Kopf vom Kissen und schaut geradeaus über das Bettende und erblickt seinen Helm. Na, das ist doch was, ich habe so einen Anblick jedenfalls nicht jeden Morgen.
Nachreichen muss ich auch noch etwas. Nämlich das, was ich mir gestern im »Volg« unweit der Jugendherberge als Abendessen (und für mein heutiges Frühstück) geleistet habe: Eistee in Geschmacksrichtung »Peach«, also mit Pfirsichsaft und ein Familienpack Schokolade »mit Haselnusssplittern«.
Nicht unbedingt besonders exquisit, aber es macht satt und gibt Energie zurück. Als Nebeneffekt ist es auch noch recht bekömmlich. Mit einem opulenten Mahl im Magen möchte ich jedenfalls nicht Motorrad fahren.
Die Kosten für die Übernachtung (welche im Voraus zu bezahlen war) hielten sich auch im überschaubaren Rahmen: 25,80 schweizer Franken, also etwa 22 Euro für die Nacht im Mehrbettzimmer. Frühstück inklusive zur Übernachtung gab es bei der Jugendherberge leider keines, denn das im Preis für die Übernachtung eingeschlossene Frühstück ist auf die Hauptsaison beschränkt.
Auf der Karte im Flur konnte ich die beiden nächsten Etappen für den heutigen Tag schon mal genauer anschauen. Von der Jugendherberge üebr den Reschensee nach Samnaun ins zollfreie Gebiet in der Schweiz. Das alles nach Möglichkeit noch vor 11 Uhr damit ich vor den mutmaßlich pünktlich zur Mittagszeit anzutreffenden Touristenmassen dort durchkomme.
Aber zuvor noch ein paar Impressionen vom Ort in dem sich die Jugendherberge befindet: Sta. Maria Val Müstair. Wie schon gestern sei am Rande bemerkt, dass ich bewusst auf den Weißabgleich verzichtet habe um die Stimmung in den Gassen nicht damit zu verfäschen.
Kurz nach 9 Uhr am Morgen und alles ist in dieses blaue Licht gehüllt. Hinten sieht man zwar schon wie die Sonne wieder den Berg anstrahlt, der Ort liegt aber noch immer im Schatten.
Was ich erst jetzt entdeckt habe: Der Ort bietet doch tatsächlich etwas mit Weltruhm. Die laut Guiness Book (2007) kleinste Whisky-Bar der Welt[1] ist nur wenige Meter von der Jugendherberge entfernt zu finden.
Schatten plus feuchte Luft: Die XJ 600 S war über und über mit Tau bedeckt. Natürlich nicht nur die XJ sondern auch alles andere auf dem Parkplatz. Vom Container für Altkleider über den Audi neben der XJ bis zu den sonstigen Fahrzeuge auf dem Parkplatz.
Dreht man sich um 180° kann man den strahlenden Sonnenschein auf dem nahegelegenen Berg bestaunen. Zum Glück ist die Munitionskiste 100%ig wasserdicht. Ansonsten wären meine Handschuhe wohl nicht nur kalt sondern auch feucht gewesen.
Rauf auf die nasse Sitzbank, Choke ziehen und ein kurzer Druck auf den Anlasserknopf. Schon schnurren die vier Kolben der XJ 600 S und singen bei leicht erhöhter Drehzahl ihr Lied im ansonsten ruhigen Dorf. Ein kleines Stück bin ich dann noch in Richtung Ofenpass gefahren.
Kaum hatte ich mich etwa 5 Kilometer von dem Parkplatz bei der Jugendherberge entfernt bot sich die Gelegenheit ein paar Aufnahmen im Sonnenschein zu machen. Auch von der Vignette, welche noch immer Tapfer am Tauchrohr klebt.
Noch immer stand der Mond am Himmel und war gut zu sehen. Leider ließ sich trotz 90°-Panorama der Anblick nicht wirklich einfangen. Ich saß jedenfalls für ein paar Minuten noch im Sonnenschein und ließ sie mir ins Gesicht scheinen.
Anschließend drehte ich um und fuhr wieder in Richtung Italien zurück. Vorbei an der Jugendherberge und durch die schmalen Straßen der kleinen Ortschaften hindurch bis zum Grenzübergang zwischen der Schweiz und Italien.
Etwa eine halbe Stunde später passiere ich auch schon wieder die Grenze zwischen der Schweiz und Italien. Eine halbe Stunde durch das noch immer schattige Val Müstair. Direkt an der Grenze bot sich dann der Ausblick ins sonnige Italien. Und dies wortwörtlich wie man auf dem Bild erkennen kann. Nur ein kurzes Stück nach der Grenze berührt um etwa 9:30 Uhr der Sonnenschein die Straße – auf der italienischen Seite.
Die schweizerische Seite war noch immer komplett im Schatten. Also das getönte Innenvisier heruntergeklappt und weiter in Richtung Reschensee. Immer auf der Suche nach den ersten Schildern »Reschenpass – passo Resia«. Doch irgendwie bin ich zurück einen kleinen Umweg gefahren. Die Schilder in Richtung Schweiz haben mich durch noch eine kleine Ortschaft geführt. Die Schilder zum Reschenpass führten mich über eine Umgehungsstraße.
45 Minuten später steht die XJ 600 S dann wieder am alten Turm von Grau. Für viele ist es der »Reschenturm« oder »der Kirchturm von Reschen«. Tatsächlich gehört der Turm jedoch zur bei der Aufstauung des Sees vollständig ausgelöschten Ortschaft Graun (inzwischen auch als Altgraun bezeichnet).
Als Kind bin ich viele Jahre hinweg in den Pfingstferien mit meinen Eltern nach Italien an den Gardasee gefahren. Dabei sind wir auch unzälige Male an dem Kirchturm vorbeigefahren. Bis zur Fahrt mit dem Motorrad hatte ich mir keine großen Gedanken darüber gemacht wie alt der Stausee tatsächlich ist und was mit ihm beziehungsweise seiner Entstehung alles zusammenhängt.
Irgendwie hatte ich mit etwa 9 Jahren die naive Vorstellung ein natürlicher See hatte das alte Dorf irgendwann überschwemmt, daher wären die Bewohner von Graun einfach weiter nach oben gezogen und der Kirchturm blieb stehen weil er so stabil gebaut war. So in etwa hatte ich es mir jedenfalls beim ersten Anblick des Sees beziehungsweise Turms vorgestellt.
Fast 30 Jahre später habe ich mich via Internet dann ein wenig schlauer gemacht. Auf einer Seite im Internet findet man umfangreiches Informationsmaterial[2]. Nach dem Lesen was am heutigen Aussichtspunkt in den Jahren 1949 und 1950 passiert ist, sieht es dann doch mit ein wenig anderen Augen.
So markant und auch irgendwie schön anzuschauen der alte Kirchturm sein mag, die damit verbundenen Schiksale machen in für mich eher zu einem Mahnmal als zu einer touristischen Attraktion.
Nur ein paar Zahlen von der bereits genannten Website:
Mit dem Motorrad verließ ich dann den Parkplatz am alten Kirchturm vom untergegangenen beziehungsweise gesprengten Graun.
Durch die vielen Kehren und Galerien ging es für mich weiter nach Samnaun beziehungsweise bis Compatsch. Den Reschenpass hinunter wurde ich von etlichen Baustellen beziehungsweise den dazugehörigen Ampeln ausgebremst. Mir kamen unzählige Motorräder entgegen, irgendwann stellte ich dann das Grüßen ein. Die anderen Motorradfahrer schienen aber begeistert zu sein endlich jemanden zu sehen, welcher mit seinem Zweirad von Italien in Richtung Österreich fuhrt. Zumindest hat mich so ziemlich alles gegrüßt was auf zwei Rädern unterwegs war.
Warum überhaupt nach Samnaun? Weil man in Samnaun sehr, sehr günstig tanken kann. Samnaun beziehungsweise auch schon Compatsch liegt im einzigen zollfreien Gebiet in der Schweiz. Daher sind dort neben Alkohol und Zigaretten auch die Kraftstoffpreise deutlich günstiger als man sie sonst gewohnt ist. An Alkohol und Zigaretten war ich nicht interessiert, ich habe nur den Tank der XJ 600 S aufgefüllt.
Die sieben Kehren und etlichen »normalen Kurven« muss man dabei fahren um die rund 700 Höhenmeter auf einer Strecke von etwa 12 Kilometern überwinden zu können. Dabei geht es nicht nur bergauf sondern auch wieder streckenweise ein klein wenig bergab – und selbstverständlich auch wieder hinauf.
Für mich ein wenig ungemütlich: Recht niedrige »Leitplanken« aus Holz und dahinter ging es stellenweise doch erst einmal ein gutes Stück nach unten. Warum das gerade für mich ungemütlich ist? Ich bin nicht schwindelfrei...
Daher folgte nach der Fahrt zurück in Richtung Österreich erst einmal eine kleine Pause an einer Tankstelle. Dort habe ich keine Bilder gemacht, aber es wären ohnehin nur die Massen an Tagesausflüglern mit auf dem Bild gewesen, welche sich die Reschenstraße (B 180) vom Landecktunnel aus in Richtung Italien bewegt haben.
In Österreich folgte noch ein Zwischenstopp an einer Tankstelle an der A12. Dort musste dann die dritte und letzte Tafel Schokolade vom »Volg« dran glauben. Da sie ohnehin auch auf den Bildern immer wieder auftauchen noch ein paar Zeilen zu den Bandagen von »Probiker«. Die »Hangelenkstützen«[3] habe ich primär als Kälteschutz angeschafft. Da gerade die erste Stunde am heutigen Tag alles andere als warm war kann ich nur noch einmal bestätigen: Sie machen genau das was ich will. Ich hatte jedenfalls zu keinem Zeitpunkt kalte Handgelenke.
Wie die XJ 600 S so im Sonnenschein an der Tankstelle in Österreich stand ist mir dann auch noch etwas aufgefallen: Wieso glänzen die Munitionskisten eigentlich so in der Sonne? Zumindest an zwei Stellen? Bei genauerem Hinsehen musste ich feststellen, dass die Schlösser am Kunststoff geschabt haben. Dieser scheint jedoch stabiler als die Schlösser zu sein, denn der Abrieb vom Schloss befindet sich auf den Munitionskisten.
Nicht schön aber auch ein Bild wert: Die vielen, kleinen, schwarzen Punkte auf dem Kennzeichen. Dabei handelt es sich nicht etwa um Fliegen, welche sich heldenhaft auf das Kennzeichen gestürzt haben um darauf zu zerschellen, sondern um das, was sich dank dem Scottoiler von der Kette an altem Fett so nach und nach löst und vom Fahrtwind beziehungsweise der Verwirbelung am Heck gegen das Kennzeichen geschleudert wird.
Wie sieht wohl die erste Tankstelle in Österreich an der Grenze zu Deutschland aus wenn in Deutschland Feiertag ist? Richtig: Genau so wie auf dem Bild zu sehen. Selbst wenn da noch mal 10 weitere Säulen wären, es wäre noch immer eine Schlange an jeder Säule vorhanden.
Aber es ist auch wenig verwunderlich das so ein Andrang herrscht. In Deutschland wird für den Liter Super 1,710 Euro aufgerufen, in Österreich nur rund 10 Kilometer entfernt 1,549 Euro. Eine Differenz von 17 Cent pro Liter.
Nach 565 Kilometern war ich dann wieder daheim. Der größte Wunsch in dem Moment: Nur noch schnell das Topcase abbauen und dann zielstrebig in Richtung Dusche losmarschieren.
Die Felgen und eventuell auch noch das ein wenig verdreckte Kennzeichen putzen? Ja, aber erst irgendwann einmal, jetzt musste erst einmal geduscht werden.
Wirklich viele Kilometer habe ich nicht zurückgelegt, das ist wohl wahr. Trotzdem war es eine nette Erfahrung – abgesehen von den Schnarchern in der Jugendherberge.
Noch zwei Monate, dann muss die XJ 600 S wieder in den Winterschlaf. Vielleicht kann ich noch einmal eine solche kleine Tour fahren. Aber ich befürchte Arbeit und Wetter werden mir da einen Strich durch die Rechnung machen. Genug Profil hat der Reifen noch: 2,3 mm konnte ich nach der Fahrt messen. Für ein paar 100 Kilometer reicht das noch locker. Nächstes Jahr kommt dann ein neuer Reifen drauf.
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Datum: | 03.10.2012 |
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Kommentare
schrieb am 22.08.16 um 20:36 Uhr:
Was mir auf Deinen Bildern immer wieder aufgefallen ist, sind die Packtaschen für's Bike: schön schmal, und stabil scheint das ganze auch zu sein. Muß man da 'nen Draht zur Bundeswehr haben, um an Munitionskisten zu kommen, oder wie liegen die Teile rum? Suchbegriff für ebay ???
Habe mir ne "kleine" BMW r700gs geholt, weil mir mit 172cm Körpergrösse die 1200er zu gross geworden ist, aber für kurze Gelände-Ausflüge mag ich halt doch ne Halb-Enduro. Mit schmalen Koffern!
Würde mich freuen von Dir zu hören,
Thomas aus Dortmund
schrieb am 22.08.16 um 20:49 Uhr:
Die schmalen Koffer sind ehemalige Munitionskisten aus Kunststoff. Aufgrund der Materialstärke leider nicht viel Volumen Zuladung (und recht viel Eigengewicht). Aber praktisch sind sie. Seit dem Verkauf der XJ 600 S stehen sie in der Garage, sie sollen aber an meine R 1150 GS. Die Kisten habe ich in meinem Blog beschrieben:
![](/images/smileys/smile.gif)
www.600ccm.info - Munitionskiste als Koffer am Motorrad
www.600ccm.info - Munitionskisten für Schlösser vorbereiten
www.600ccm.info - Montage der Schlösser an die Munitionskisten
Montiert sind sie mit Kofferhaltern von Touratech:
www.600ccm.info - Touratech Kofferhalter
»Leider« habe ich an der R 1150 GS Kofferhalter für Givi-Koffer. Die haben abstehende »Haltenasen«, welche ich nicht abbauen will. Daher muss ich die Munitionskisten für die R 1150 GS (bzw. die Givi Halterungen) umbauen. Geplant ist eine Unterlage aus Siebdruckplatte mit Aussparungen für die Givi Halterungen.
Die Touratechhalter haben dann ausgedient, sie wären dann zu kurz. Aber große Rändelmuttern und Schlossschrauben aus dem Baumarkt (oder Internet) werden auch ihren Zweck erfüllen.
Beispiel für eine solche Rändelmutter: www.amazon.de - Rändelmutter M8 Metall, massiv Stahl brüniert DIN 467 --- MENGE wählbar, Menge:4 STÜCK. Sind im Baumarkt aber günstiger zu finden.