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Vor rund 2,5 Wochen hatte ich über die Verschärfung der Ahndung von Ge­schwindigkeits­verstößen geschrieben[1]. Der Kommentarbereich wurde daraufhin zügig mit einigen Beiträgen befüllt. Kein Wunder bei einem Thema, was irgendwie alle betrifft?

Nun aber die Wende von der Wende? Am vergangenen Freitag – also Vorgestern, 15. Mai 2020 – verkündete der Scheuer Andi, dass der neue, deutlich strengere Bußgeldkatalog in einigen Punkten entschärft werden soll.

Insbesondere die verschäfte Regelung, dass ein einmonatige Fahrverbot bereits ab der ersten Tempoüberschreitung von 21 Stundenkilometern innerorts und 26 km/h außerorts greift sei dem Scheuer Andi zu »unverhältnismäßig«. Wie ich im verlinkten Beitrag schon geschrieben hatte galt vor der Neuregelung, dass ein Fahrverbot erst ab dem zweiten derartigen Verstoß innerhalb von 12 Monaten vorgesehen war – wenn über 26 km/h zu schnell.

»Vorwärts immer – rückwärts nimmer« – oder doch?
»Vorwärts immer – rückwärts nimmer« – oder doch?

»Vorwärts immer – rückwärts nimmer« scheint nicht nur bei mittlerweile erwiesenermaßen gescheiterten Systemen zu gelten. Anscheinend also auch beim Bußgeldkatalog?

In Foren konnte ich die hitzig-emotional geführten Diskussionen mitverfolgen. Vielen waren die Strafen »zu hart«. Es werden »Existenzen gefährdet wenn Führerscheinentzug droht«. Außerdem »sind die Strafen viel zu hoch«.

Ich kann gar nicht so oft mit dem Kopf schütteln wie ich wollte, denn sonst würde mir schlecht werden und ich müsste mich ständig übergeben. Von den Kopfschmerzen ganz zu schweigen.

Mal kurz nachgedacht: Wer statt 50 km/h innerorts mit 71 km/h (nach Abzug der Toleranz) unterwegs ist wird in seiner »Existenz bedroht« wenn man ihm den Lappen abnimmt? Und das soll »unverhältnismäßig« sein? Also das einzige was ich als unverhältnismäßig sehe ist die Geschwindigkeitsübertretung.

An meinem alten Arbeitsplatz hatte ich vom Fenster aus den besten Blick auf einen stark frequentierten Zebrastreifen an einer stark frequentierten Straße. Wie oft da täglich Gummi in Quietschen umgewandelt wurde und wie häufig etliche sicherlich mehr als den erlaubten 50 km/h auf dem Tacho hatten kann man nicht zählen. Es sind viele. Viel zu viele!

Anscheinend weiß niemand wie »unverhältnismäßig hoch« die Bußen sind? Mal Butter bei die Fische:

»Sie fuhren nicht mit mäßiger Geschwindig­keit an den Fußgänger­überweg heran, obwohl ein Bevorrech­tigter diesen erkennbar benutzen wollte« – 80 Euro und 1 Punkt in Flensburg. Mit Gefährdung 100 Euro.

»Sie ermög­lichten einem Bevorrech­tigten nicht das Überqueren der Fahrbahn, obwohl dieser den Fußgänger­überweg erkennbar benutzen wollte« – 80 Euro und 1 Punkt. Mit Gefährdung 100 Euro und wenn es zum Unfall kommt 120 Euro und 1 Punkt.

Gedanklich bin ich kurz an anderer Stelle unterwegs. Seit rund 6 Monaten gilt bei einem Kreisverkehr (Unfallschwerpunkt) nicht mehr Vorfahrt gewähren sondern es ist ein Stoppschild aufgestellt. Regelmäßig stehe ich an der Haltelinie und werde links – da zweispurig – mit durchgetretenem Gaspedal »überholt«. Kostet ja auch nichts: »Stopp­schild überfahren« – 10 Euro, keine Punkte. Mit Gefährdung immerhin 70 Euro und 1 Punkt, wenn man einen Unfall verschuldet 85 Euro und 1 Punkt.

Vielleicht ist das »unverhältnismäßige« Abgeben vom Führerschein darin begründet, dass andere Verstöße auch nicht sonderlich hart bestraft werden? Obwohl beziehungsweise gerade dort auch gefährliche um nicht zu sagen lebensbedrohliche Situationen bestehen können?

Ein Stoppschild zu überfahren nennt sich in der Schweiz »Nicht vollständiges Anhalten beim Stop-Signal (Rollstopp)« und man ist CHF 60 los. Thematisch zurück zum Zebrastreifen: »Nichtgewähren des Vortritts bei Fussgängerstreifen« CHF 140.

jm2c: Wer seinen Lappen nicht verlieren will oder wer sein Geld lieber anderweitig investieren will, der braucht keine anderen »verhältnismäßigeren« Bußen. Er braucht einfach nur brain.exe und soll sich an die Regeln halten. Schon gibt es kein Problem mehr mit angeblich zu schlimmen Folgen.

»Mildere Strafen für Temposünder« – Mkay...
»Mildere Strafen für Temposünder« – Mkay...

Hey Scheuer Andi, ich möchte dir was sagen: Die Vorlage wurde nicht ohne Grund verschärft. Es war gut so. Es gibt mehrere Gründe dies so zu tun.

Wenn dann ein Aufschrei durch die Reihen geht, vom »nachts Blitzer abflexen und im Fluss versenken« in Foren phantasiert wird und mutmaßlich chemtrailsschnüffelnde Aluhutträger geistige Ergrüsse von einer »New-World-Straßenverkehrs-Order« in Facebookgruppen onanieren... Genau dann sollte man doch realisieren das es diesen Personen nicht darum geht das die Bußen oder Strafen zu hoch sind. Denen geht es einzig darum die von ihnen »billigend in Kauf gekommenen« Bußen weiterhin »verhältnismäßig« zu ihrem Spaßbedürfnis sind. Nicht mehr und auch nicht weniger.

»Wir sind das Volk!« – nein. Du fährst zu schnell und das Volk, das sind die anderen. Punkt.

Da bekommt dann der ebenfalls diese Woche veröffentlichte Vorschlag vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) für ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen vermutlich auch das Prädikat »unverhältnismäßig« vom Scheuer Andi? Warten wir es mal ab.

Gedankenspiel: »Sie beachteten nicht das bestehende Wende­verbot (Zeichen 272): 20 Euro«
Gedankenspiel: »Sie beachteten nicht das bestehende Wende­verbot (Zeichen 272): 20 Euro«

Wäre die Kehrtwendung vom Scheuer Andi ein Verstoß gegen das Wendeverbot (Zeichen 272), es wäre günstig: 20 Euro. Kein Punkt.

»Existenzen werden bedroht«... Nun denn, da hätte ich auch noch etwas zum Nachdenken parat:

»Parken vor oder in einer amtlich gekennzeichneten Feuerwehrzufahrt (mit Behinderung eines Rettungsfahrzeuges im Einsatz)« – 100 Euro und ein Punkt. Vor der Änderung im Januar 2020 waren das noch 50 Euro.

Kein »mit Todesfolge« oder »mit Körperverletzung« als Optionen für höhere Bußen. Also meinem Verständnis nach werden – anders als bei 71 km/h innerorts – bei zugeparkten Feuerwehrzufahrten tatsächlich bei den direkt Betroffenen »Existenzen bedroht«. Vielleicht sollte man da mal über 1'000 Euro statt 100 Euro nachdenken?



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Datum: 17.05.2020
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