Es war kurz vor dem Saisonende 2010. Während der größte Teil der Motorradfahrer seine Maschine (oder Maschinen) für den Winter mollig warm einpackt beziehungsweise mit Reinigungsmitteln, Lackschutz und Abdeckplane für den Winter einmottet, sind einige sehr unruhig. Was damals die harten Ganzjahresfahrer aber auch einige Roller- und gelegentlich im Winter Fahrenden ohne Saisonkennzeichen beschäftigt hat: Die damals eingeführte »situative« (also vom Straßenzustand abhängige) Winterreifenpflicht – auch für einspurige Fahrzeuge.
Versucht man heute über einen Preisvergleich wie beispielsweise Toroleo[1] das aktuelle Angebot an als Winterreifen gekennzeichnete Motorradreifen zu finden, wird man angenehm überrascht. Es gibt schon einige Modelle diverser Hersteller und auch der Variantenreichtum an Breiten und Durchmessern hat deutlich zugenommen. Was trotzdem noch bleibt sind die drei Kernfragen, welche auch jetzt langsam wieder in den Foren diskutiert werden (einfach anklicken um weiter nach unten zum jeweiligen Abschnitt auf dieser Seite zu springen):
Ein Blick ins Gesetz könnte hier alle Unklarheiten beseitigen – oder doch nicht?
Ausschlaggebend für die Notwendigkeit von Winterreifen war die Novellierung von §2 Abs. 3a StVO. Hier die aktuelle Fassung:
Na, dann ist ja alles klar, oder?
Vermutlich ist nach dem Studium des §2 Abs. 3a StVO nicht alles klar. Daher fange ich mit der üblichen Kennzeichnung von Winterreifen an. Vom PKW-Reifen kennt man zwei Symbole, welche an (fast) allen angebotenen Winterreifen finden kann: Die »Schneeflocke im Berg« und das »M+S«-Kürzel.
Bekannt ist vorallem die Kennzeichnung »M+S« und wie sie im Deutschen interpretiert wird: »Matsch und Schnee«. So weit weg vom englischen Original und der eigentlichen Herkunft des Kürzels ist das gar nicht, denn es steht eigentlich für »Mud and Snow«.
Die schicke Schneeflocke, welche von einem Bergprofil eingerahmt ist, ist us-amerikanischen Ursprungs. Die Ein von der »American Society for Testing & Materials« als Winterreifen deklariertes Modell darf das bekannte Symbol tragen.
Beide Symbole sagen eigentlich nur eins aus: Der Reifen unterscheidet sich von einem Standardreifen beziehungsweise Sommerreifen darin, dass er einen Industriestandard erfüllt, welcher ihn von einem Referenzreifen (kein Winterreifen) unterscheidet.
Die Kennzeichnung alleine weist also einen Reifen als »den Industriestandard erfüllend« aus. Aber es können ja auch Reifen ohne diese Kennung den Standard erfüllen auf Schnee besser geeignet zu sein als beispielsweise der relativ profilarme Pneu bei einer Supersportler: Grobstollige Reifen wie sie bei einer Enduro gerne mal zu finden sind.
Zu diesem Sachverhalt kann die Website des ifz[2] weiterhelfen:
Demnach muss ein »geeigneter Winterreifen« – auch auf der Felge eines Motorrads – nicht die Kennzeichnung »M+S« haben. Bei einer Verkehrstkontrolle wäre es natürlich leichter und wurde unnötige Diskussionen vermeiden helfen.
Die Frage ob es einen bestimmten Zeitraum beziehungsweise einen Stichtag gibt zu welchem man nur noch mit Winterreifen am Staßenverkehr teilnehmen darf kann schnell beantwortet werden. Es gibt kein festes Datum, sondern im §2 Abs. 3a StVO lediglich die Definition bei »Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis oder Reifglätte« zu finden. Das kann erst ab dem 15. Januar sein oder auch schon am 15. Oktober. Der Gesetzgeber bevormundet in diesem Punkt nicht den Bürger sondern geht von dessem gesunden Menschenverstand aus.
Dies gilt in Deutschland. In anderen europäischen Ländern gelten unter Umständen andere gesetzliche Vorgaben. Zumal dort auch eine Mindestprofiltiefe für Winterreifen vorgeschrieben sein kann.
Im Internet ist häufiger zu lesen, dass keine Winterreifenpflicht für Motorräder besteht da im Gesetz ein Fehler vorhanden sei. Zunächst muss zwischen einer generellen Winterreifenpflicht und der wetterabhängig definierten Situation in Deutschland unterschieden werden. Es gibt keine generelle Winterreifenpflicht. Das stimmt soweit. Aber wenn die Wetterverhältnisse es gemäß §2 Abs. 3a StVO es erforderlich machen müssen auch Motorräder eine Winterbereifung haben.
Aber wie ist eigentlich das Gerücht entstanden das dies nicht stimmen würde? Vermutlich ist eine Veröffentlichung im Internet durch den Bundesverband der Motorradfahrer e.V. (BVDM e.V.) der Auslöser gewesen. Der BVDM e.V. hatte Ende 2010 auf seiner Website erklärt, wieso nach ihrer Auffassung einspurige Fahrzeuge von der Novellierung des §2 Abs. 3a StVO nicht betroffen sind.
Leider hat der Verband eine Kleinigkeit übersehen und daher betone ich es noch einmal und schreibe es daher fett: Die Winterreifenpflicht für Motorräder in Deutschland besteht!
Aber wie kam der BVDM e.V. zur Annahme die gesetzlich geregelte Situation sei anders? Dies kann online nachgelesen werden, denn der Verein gab auf seiner Website eine Erklärung[3] ab, wieso eine Definition im Kontext des Begriffs »Kraftfahrzeug« mit dem §2 Abs. 3a StVO Motorräder ausschließen würde:
Als ich das letzte Mal bei meiner XJ 600 S nachgezählt hatte, waren nur zwei Räder dran. Bei meiner GSF 1200 verhält es sich auch so: Motorrad mit nur zwei Rädern. Demnach fallen sie nicht in die Kategorie der Fahrzeuge, welche in der Richtlinie 92/93/EWG (siehe §2 Abs. 3a StVO) behandelt werden? Wieso überhaupt Richtlinie 92/93/EWG? Na, weil die Richtlinie 92/93/EWG auf die Definition in der Richtlinie 70/156/EWG verweist.
Konnte man soweit meinem Gedankengang und dem des BVDM e.V. noch folgen? Ja? Gut. Dann weiter im Text. Falls nicht den Absatz noch einmal lesen, denn er ist zum Verständnis sehr wichtig.
Gemäß der Interpretation des BVDM e.V. müssen Motorräder mit weniger als vier Rädern gar keine Winterreifen montiert haben weil es gar nicht vorgeschrieben ist. Jedoch besteht auch für Motorräder mit nur zwei Rädern die Winterreifenpflicht, denn dem BVDM e.V. ist eine Kleinigkeit entgangen. Schaut man sich den relevanten Teil des §2 Abs. 3a StVO an wird es klar. Der erste Satz lautet wie folgt:
Kürzt man diesen Teil wird klar, worauf sich die erwähnte Definition tatsächlich bezieht:
Auf die Richtlinie 92/93/EWG wird nur wegen der dort beschriebenen Eigenschaften der »M+S-Reifen« (beziehungsweise Winterreifen) verwiesen. Nicht wegen einer Definition des Begriffs »Kraftfahrzeug«.
Aber das Internet wäre nicht das Internet wenn sich die Information des BVDM e.V. nicht in diversen Foren und sogar auf den Seiten von Motorradhändlern breit gemacht hätte. Daher fühlen sich viele auf ihren Motorrädern und Rollern im Recht wenn sie ohne Winterreifen fahren. Dabei betrifft es sie auch, denn »ein Kraftfahrzeug« – siehe §2 Abs. 3a 1. Satz StVO schließt auch Krafträder mit ein.
Dies kann auch dem A-Z des ifz entnommen werden:
So sehr es einem also gefallen mag eine vermeintliche Lücke gefunden zu haben: Im §2 Abs. 3a StVO ist keine. Jedenfalls keine mit welcher Motorräder von der Winterreifenpflicht generell befreit wären.
Sowohl die Differenzierung zwischen allgemeiner und witterungsbezogener Winterreifenpflicht wie auch die weiter oben auf der Seite bereits angesprochene Kennzeichnungspflicht auf Winterreifen wird auch vom ifz noch einmal klargestellt:
Inzwischen haben wir September 2013 und es hat sich diesbezüglich nichts verändert. Weder was es die StVO belangt noch was es die Darstellung des BVDM e.V. betrifft. Die Mühlen mahlen also mal wieder langsam. Das letzte Update auf der Seite vom BVDM e.V. stammt vom 11.01.2011 und lautet wie folgt:
Zumindest ist hier aufgegriffen worden, dass es von der Art des Reifens und nicht von der Kennzeichnung auf dem Reifen selbst abhängig gemacht werden kann ob er nun für die Witterungsverhältnisse geeignet ist oder nicht.
Damit wären wir dann beim nächsten Problem von Krafträdern und der Winterbereifung: Die (unsägliche) Reifenfabrikatsbindung bei Krafträdern in Deutschland.
Über die »Reifenfabrikatsbindung« habe ich bereits eine längere Seite geschrieben – im Bezug auf die Yamaha XJ 600 S/N[4]. Die Kurzfassung: Wenn in der allgemeinen Betriebserlaubnis des Fahrzeugs keine Bindung auf bestimmte Modelle vorhanden ist, dann gibt es auch keine.
Sollte jedoch eine vorhanden sein, dann muss diese befolgt werden. Ausnahmen wären Reifen, welche vom Hersteller per UBB (Unbedenklichkeitsbescheinigung) für das Fahrzeug freigegeben wurden.
Somit ist es zwar gut das einige Hersteller wie beispielsweise Metzeler und Heidenau Winterreifen für Krafträder und auch Roller im Sortiment haben. Aber es gibt eben nicht für alle eine UBB für die diversen Modelle mit bestehender Reifenfabrikatsbindung.
Dabei ist neben dem Profil – wie beim PKW – auch die Gummimischung entscheidend um im Winter sicher von A nach B kommen zu können. Also hat der Motorradfahrer eigentlich gleich drei Probleme wenn er im Winter legal unterwegs sein möchte:
Alternativ könnte er natürlich auch im Herbst und Frühjahr die Räder ausbauen, Sommer- und Winterbereifung wechseln lassen und anschließend wieder die Räder einbauen. Aber macht das wirklich Sinn?
Ohne UBB und/oder Reifen in der richtigen Größe wird es schwer die Vorgaben zu erfüllen. Da kann der abgehärtete Ganzjahresfahrer nur darauf hoffen, dass er die richtige Maschine gewählt hat.
Bei meiner GSF 1200 habe ich zumindest nur den Vermerk »Reifen v.u.h. nur ein Hersteller« sowie den automatischen Hinweis »Reifenfabrikatsbindung gem. Betriebserlaubnis« (welchen ich aber ignorieren kann).
Winterreifen in der passenden Größe (120er vorne, 180er hinten) wären also theoretisch kein Problem.
Aber bei mir hat sich die Thematik ja ohnehin durch das Saisonkennzeichen erledigt. Von Ende November bis Anfang April steht die GSF 1200 – und auch die XJ 600 S – im trockenen und muss nicht Schnee, Matsch und Salz trotzen. Ist vielleicht auch besser so?
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Datum: | 01.09.2013 |
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